Digitalisierung, Pfarrberuf und Gemeinde

Ich wurde gefragt, was mir im Moment gerade im Bezug auf die Digitalisierung im Bereich des Pfarrberufs und der Kirchengemeinden wichtig sei. Ich habe ein paar ungeordnete Gedanken aufgeschrieben, die euch zum Weiterdenken anregen sollen und gern diskutiert werden dürfen. 🙂

Egal ob Kirche das gut findet oder nicht: Viele Menschen sind mittlerweile wesentlich leichter digital (via SocialMedia) anzusprechen als physisch. Der Marktplatz von Paulus ist heute nicht mehr der Marktplatz in Lemgo oder Detmold, sondern die Sozialen Netzwerke in all ihrer Vielfalt. Es gibt nicht mehr ein Marktplatz pro Stadt, sondern 10 Marktplätze in jeder Stadt, die aber städteübergreifend sind und die jeweils wiederum Nischen haben, in die man nur über Empfehlungen hineinkommt. In diese digitalen Flüsterkneipen („Filterbubble“) in denen uns unerreichbare Menschen sind, kommen wir nur durch Empfehlung („Teilen“). Das bedeutet dreierlei:¹

1. Wann immer wir als Kirche kommunizieren, müssen wir das professionell, interessant und relevant tun.

2. Im digitalen Raum gibt es keine Gemeindegrenzen. Wir können auf Dauer nicht nur auf unseren Kirchturm schauen, denn Gemeinde, die online ist, ist offen für Menschen von außen (alles andere wäre schlicht Wahnsinn). Wenn ich auf die Pfarr-Nachwuchszahlen schaue, kann eine jetzige Gemeindegrenze eh nicht mehr sehr lange aufrecht erhalten werden.

3. Die Sozialen Netzwerke sind keine Nachrichten- und Veranstaltungsverteilsysteme. Man kann sie dafür missbrauchen, aber das wäre so, als würde ich ein Schweizer Taschenmesser nur zum Apfelschälen benutzen. Es geht nämlich dort wie in der physischen Gemeinde um Beziehungsaufbau und -pflege.

Das bedeutet aber für mich nicht, dass jede Gemeinde und jede Pfarrerin/jeder Pfarrer auf Facebook und Twitter und Instagram und Snapchat und Pinterest und… sein muss. Bei der Vielfalt der Netzwerke und der Differenzierung der Gesellschaft ist es einem Einzelnen nicht möglich überall – in allen Netzwerken und dort in jeder Nische – präsent zu sein. Da es im digitalen Raum keine Gemeindegrenzen gibt, reicht es im Zweifelsfall, wenn jemand in „seinem Netzwerk“ eine Pfarrperson in der weiteren physischen Umgebung findet.

Was ich in der heutigen Zeit unverzichtbar finde, ist eine Gemeindehomepage mit Adresse und Öffnungszeiten des Gemeindebüros, Kontaktdaten (nicht nur ein Kontaktformular) und die Adressen der Kirchen und ggfs. Friedhöfe, damit man per Navi hin findet. Die Homepage muss dabei natürlich aktuell sein (diese Daten sowieso –  wenn es mehr gibt, dann auch das!).

Überforderung. Angesichts der sich immer mehr ausdifferenzierenden Gesellschaft und der immer vielfältiger werdenden Landschaft im Social Web – vor allem aber durch die vielen Aufgaben im Pfarramt und den größer werdenden Bezirken – kann man sich fragen: Jetzt auch noch Social Media? Vielleicht ist es Zeit, einmal die Gemeindearbeit und die Zielgruppen gezielt durchzugehen und sich unvoreingenommen die Frage zu stellen: Wen wollen wir eigentlich erreichen? Wie erreichen wir Menschen? Welche Wege sind nicht mehr zeitgemäß? Social Media kann nicht „noch obendrauf“ kommen, sondern ist eine neue Form, die in ein Gesamtkonzept eingepasst werden muss. Das kann Veränderungen bedeuten und große Chancen. Letztlich fällt aber eine gute Social Media Arbeit genau in die Kernkompetenzen des Pfarrberufs: Kommunikation des Evangeliums, Zuhören, Impulse setzen, Beziehungen aufbauen – nur eben nicht physisch innerhalb der Gemeindegrenzen, sondern in einer virtuellen Umgebung, die wesentlich größer ist, als die eigene Gemeinde.

Beispiel: Kontaktpflege und Präsenz zeigen ist etwas, was Pfarrerinnen und Pfarrer nahezu täglich tun. Bei Dorffesten, in Gemeindegruppen und bei Geburtstagsbesuchen. Ich frage mich, warum hier bestimmte Personengruppen im Vordergrund stehen und die digitale Generation außen vor gelassen wird (ja, steile These!). Wenn Pfarrerinnen und Pfarrer mehrere Stunden pro Woche bei Geburtstagsbesuchen verbringen, warum nicht auch eine Stunde im Netz? (Was nach einer Weile eine weit größere Reichweite haben dürfte, als ein Geburtstagsbesuch.)

Seelsorge. Fürs Pfarrerinnen und Pfarrer tut sich einiges, wenn sie sich auf die Veränderte Situation einlassen. Wie schon zur Zeit als das Telefon Einzug in die Pfarrhäuser gehalten hat, so ändert sich nun wieder einmal die Art, wie Menschen Kontakt zur Pfarrerin und zum Pfarrer aufnehmen. Da kann es sein, dass eine Konfirmandin um 23:15 Uhr per Facebook Messenger/WhatsApp/Threema eine Seelsorgeanfrage für ihren Vater schickt. Ob man per Smartphone darauf direkt antwortet, hängt von Zeitplanung, Berufsverständnis und sicherlich auch der Dringlichkeit ab. Hier gilt es wie damals darum, dass bewusst Grenzen gezogen werden müssen oder eben auch nicht. Dass mich plötzlich jemand auch dann erreicht, wenn mein Telefon schon längst am Anrufbeantworter hängt und mein Rechner heruntergefahren ist, mag eine Veränderung sein. Allerdings liegt es an jedem Einzelnen, wie wir damit umgehen (Handy stummschalten, direkt antworten, ignorieren,…). Tatsache ist jedoch, dass wir durch Präsenz in den Messengern und Sozialen Netzwerken eine niederschwellige Kontaktfläche schaffen, die für die Ratsuchenden leichter zu kontrollieren ist als ein Telefongespräch oder gar ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Bei diesen Kanälen fehlt freilich Mimik, Gestik und Tonfall, was eine angemessene Reaktion um so schwieriger macht.

Und die normalen Gemeindemitglieder? Vor allem in einer Zeit, wo in den Social Media vor allem das Negative (der Fremdenhass, der Rechtspopulismus, der Extremismus,…) weithin sichtbar ist, ist es an uns Christen, diesem Hass zu widersprechen. Ich habe aus meiner Schulzeit noch im Ohr: „Schweigen heißt Zustimmung“. Wenn man sich einige Facebookgruppen anschaut und die teils hanebüchenen Behauptungen liest, wundert man sich manchmal, dass nur die Nutzer mit extremeren Meinungen etwas schreiben. (Da kommt zum Beispiel zu einem verlinkten Artikel, dass Parkgebühren teurer werden, spätestens im dritten Kommentar die Behauptung, die Flüchtlinge seien Schuld daran.) Dass so selten „normale“ Menschen kommentieren ist schade und bestärkt die Menschen mit extremen Meinungen  darin, dass ihre Meinung die Mehrheitsmeinung sei – was nun definitiv nicht der Fall ist.  Und wie bewerkstelligt man das, wenn man Angst vor der Gegenreaktion zu haben? Ein anderes Sprichwort ist mir im Ohr: „Hass ist organisiert, Liebe nicht.“ Vielleicht ist es Zeit, dass sich liebende Menschen wenigstens ein bisschen organisieren und sich zu viert oder zu zehnt verabreden, um gezielt positive Meinungen im Lichte eines christlichen Menschenbilds zu vertreten.

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¹ Deshalb wäre es total schön, wenn ihr beispielsweise die Facebookseite der Landeskirche teilen würdet.

Wolfgang Loest

Wolfgang Loest arbeitet 50% als Social Media Pfarrer in der Lippischen Landeskirche und 50% bei Kirche.plus (und ist Vorsitzender vom Landesausschuss Lippe des Deutschen Evangelischen Kirchentags). Er ist ein Computer-Freak und und arbeitet bei der Offenen Bibel mit.

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